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Grüne Vögel in BarcelonaKlaus Kirchner: Bei den Vorbereitungen unseres Sensenkurses in Barcelona haben wir in der Stadt grüne Vögel gesehen, so gross wie Tauben. Es hiess manche SpanierINNEN hätten schon Angst vor ihnen.
Heinrich Frötscher: Diese Papageien hat es in Wien auch schon gegeben. Gefährlich sind sie nicht. Sie brüten allerdings in Kolonien und die können dann schon recht laut sein.
Klaus Kirchner: So laut wie ein Moped?
Heinrich Frötscher: Das nicht. Aber was empfinden Stadtmenschen als laut? Die Musik in der Nachbarwohnung empfinde ich als laut, das Flugzeug das drüber fliegt nicht – obwohl es wesentlich lauter ist. Ungewohnte Geräusche werden als lauter empfunden.
Klaus Kirchner: Woher kommen die ungewohnten Vögel?
Heinrich Frötscher: Die Papageien sind aus Südamerika (Mönchssittiche) bzw. Südostasien (Halsbandsittiche). Ich habe Halsbandsittiche schon in Indien und in Sri Lanka gesehen. Mönchssittiche in Guyana. Der Zootierhandel hat sie hergebracht. Dann sind sie wahrscheinlich ausgebüchst. Oder sie wurden frei gelassen von einem Menschen, dem es zu anstrengend wurde sich um sie zu kümmern. Oder jemand wollte dem Vogel die Freiheit schenken. Es gibt Leute die kaufen Vögel nur um sie freizulassen – zum Akt des Vogel-frei-lassens.
Am Türkenschanzpark in Wien gab es eine Kolonie von 30 – 40 Halsbandsittichen. Ich denke sie haben sich von Baumsamen ernährt, z.B. Platanen. Jetzt sind sie nicht mehr da. In Barcelona haben sie viel bessere Lebensbedingungen: ihre gewohnte Temperatur und genug Nahrung um über die Runden zu kommen. Sie fressen die Samen von den grossen Palmen die als Dekor in die Stadt gepflanzt wurden.
Klaus Kirchner: Wenn in einer Stadt eine Papageienkolonie entsteht, wurden die Vögel dann in dieser Stadt selbst ausgelassen oder sind sie zugezogen und bewegen sich selbständig durch Europa? Würden sie von Wien nach Florenz oder Barcelona fliegen?
Heinrich Frötscher: Nein. Papageien sind ortstreu, sie fliegen nicht weit, weil sie das in den Tropen nicht brauchen. Erst wenn die Kolonie so gross wird, dass die Nahrung nicht mehr reicht, würden einige in die Umgebung fliegen und sich ausbreiten. Das wäre dann aber ein zusammenhängendes Ausbreitungsgebiet. Sich von Stadt zu Stadt ausbreitend – von Wien aus St. Pölten besiedeln zum Beispiel.
Klaus Kirchner: Woher gibt es so viele Papageien für all die vielen Städte in Europa? Werden die produziert oder in Massen gefangen?
Heinrich Frötscher: Sie werden gezüchtet. Früher waren es Wildfänge, aber das ist schon seit einiger Zeit verboten. Solche Papageien kann man leicht nachzüchten, deshalb gibt es ja so viele in den Tierhandlungen.

Heinrich Frötscher

Wildfänge dürfen *(laut Washingtoner Artenschutz Abkommen) gar nicht mehr nach Europa eingeführt werden. Sogar bei den Tiergärten ist es so: spezielle Zuchtprogramme zwischen weltweit zusammengeschlossenen Zoos helfen Tiere nachzuzüchten, weil aus freier Wildbahn keine mehr gefangen werden. Es gibt immer wieder Einzelfälle bei denen Tiere aus der Freiheit für Zoos gefangen werden, aber das ist immer mit viel medialer Aufmerksamkeit verbunden. Da gibt es viele Gegendemonstrationen.
Das Washingtoner Artenschutz Abkommen greift. Die allermeisten Papageien sind Nachzuchten.
Klaus Kirchner: Wenn so ein Papagei frei in Wien herumfliegt und er wird gefangen und verkauft – wäre der dann ein gefangener Wildvogel?
Heinrich Frötscher: Nein.
Klaus Kirchner: Der wäre nicht frei sondern weiterhin Sklave?
Heinrich Frötscher: Er würde immer noch als Nachzucht zählen – als unfrei. Wildvögel sind nur Vögel, die es hier immer schon gegeben hat, oder die es aus eigener Kraft geschafft haben hierher zu kommen. Die Türkentaube zum Beispiel, die vor 70 – 80 Jahren hier nicht heimisch war, hat sich von Griechenland und dem Balkan aus hierher ausgebreitet.
Klaus Kirchner: Über die Balkanroute.
Heinrich Frötscher: Sie haben sich selbst hierher ausgebreitet, deshalb gelten sie als Wildvögel.
Von den Papageien entkommen mehr den Käfigen oder werden freigelassen, als im Augenblick frei in Städten leben. Im Winter bei Minus 15 Grad habe ich in einem ganz kleinen Dorf (Rabensburg an der March) einen Halsbandsittich gesehen, der auf der Abdeckung eines Kamins sass um sich zu wärmen. Der hatte sicherlich keine Überlebenschance. Ich habe im Wiener Stadtpark schon Wellensittiche, Zebrafinken und Kanarienvögel gesehen.
Klaus Kirchner: Ich war dabei wie eine Frau auf dem Karlsplatz in Wien einen blauen Wellensittich gefangen hat – in der Absicht ihn zu retten. Nach einer halben Stunde kam jemand von einer Tierschutz-Hotline mit einem Käfig und hat ihn abgeholt. War das eine Hilfe für den Vogel?
Heinrich Frötscher: Der kommt wahrscheinlich ins Tierschutzhaus.
Wie sieht man das ethisch? Draussen hat er nicht viel Überlebenschancen, im Tierschutzhaus schon. Er lebt aber trotzdem weiterhin im Käfig und wird gefüttert. Wenn das schon Gefangenschaftsvögel sind, ist es ihre natürliche Umgebung? Jemand, der im Gefängnis geboren wird kennt nur das Gefängnis?
Klaus Kirchner: In den Papageienkolonien der spanischen Städte lernen die Vögel wieder selbständig zu leben? Sie wildern aus?
Heinrich Frötscher: Die meisten werden sicherlich von Falken gefressen oder verhungern. Ein paar überleben und finden die Palmen, wo es für sie etwas zu fressen gibt. Wenn die Bedingungen optimal sind gründen sie Kolonien und haben Nachwuchs. Nach einer gewissen Zeit sind sie wieder wie Wildvögel. In 400 Jahren sind vielleicht die grünen Papageien bei uns so gewöhnlich wie heute Strassentauben.
Die Halsbandsittiche in Wien hat es sicherlich 10 – 15 Jahre lang gegeben. Ich weiss nicht wieso die aus dem Türkenschanzpark verschwunden sind.
Klaus Kirchner: In einer spanischen Stadt wollte der Bürgermeister Papageien von Scharfschützen töten lassen, aber BürgerINNENproteste haben das verhindert.
Heinrich Frötscher: Meistens fühlen sich Menschen vom Schmutz oder Lärm gestört – was tun ihnen die Vögel sonst? In Florenz und Amsterdam gibt es auch Papageien, aber Brüssel ist die Stadt mit den meisten (vier oder fünf) Papageienarten Europas. Das milde, atlantische Klima hilft mit dem Winter klar zu kommen. In Brüssel gab es Überlegungen sie zu dezimieren. Ein Papagei ist ein verhältnismässig grosser Vogel. Turmfalken sind die häufigsten Greifvögel in der Stadt. Papageien sind von der Grösse her das Limit eines Turmfalkens.
Klaus Kirchner: Da müsste man Adler in die Städte locken?voegel,. bildrechte bei Nikkolo Feuermacher 2018
Heinrich Frötscher: Adlern gefällt es in den Städten nicht so. In Wien wollte man Wanderfalken ansiedeln um die Tauben zu dezimieren. Aber Wanderfalken brauchen grosse Reviere. Ich weiss in Wien von drei Wanderfalken-Paaren: am Hundertwasserturm bei der Müllverbrennungsanlage, auf dem Kraftwerksturm in der Lobau, auf dem Flackturm im Augarten. Sie haben gerne Überblick über den gesamten Luftraum. Sie schlagen ihre Beute im Flug, brauchen hohe Gebäude an denen sie brüten.
Klaus Kirchner: Sie erlegen Tauben oder Mönchssittiche?
Heinrich Frötscher: Sie sind gross genug dafür.
Klaus Kirchner: Im Pausenhof einer Schule in Berlin steht ein Baum in dem viele Rabenvögel sitzen. Sie sind angeblich so laut, dass sie den Unterricht stören und machen so viel Schmutz, dass die SchülerINNEN nicht mehr in den Pausenhof dürfen.
Heinrich Frötscher: Das ist bestimmt im Winter. Wenn der ganze Baum voll ist klingt das nach Saatkrähen. Die sind im Winter auch bei uns in Wien, z.B. in Aspern. Saatkrähen sind Koloniebrüter und vegetarische Krähen: sie fressen z.B. keine Eier oder Singvögel. Die Saatkrähen, die uns im Winter in Massen besuchen, kommen aus Russland um hier zu überwintern. In Hochzeiten waren das 600.000 Vögel in Wien. Ich habe gehört, dass sie ursprünglich durch die grossen offenen Mülldeponien angelockt wurden, da konnten sie im Winter gut überleben. So hat sich eine Tradition etabliert. Inzwischen gibt es die Deponien nicht mehr und es werden immer weniger Krähen. Dafür werden es in Berlin immer mehr. Viele, die früher in Wien waren fliegen inzwischen nach Berlin.
Klaus Kirchner: Gibts da mehr zu fressen?
Heinrich Frötscher: Ich weiss nicht was ihnen dort gerade gefällt. Es werden jedenfalls jährlich in Berlin mehr und in Wien weniger.
Klaus Kirchner: Was für Möglichkeiten haben wir um Vögel zu beeinflussen wenn wir sie nicht töten wollen?
Heinrich Frötscher: Töten ist die dümmste Möglichkeit. Krähen suchen sich einen guten Platz. Sie treffen sich immer am Abend, übernachten irgendwo, wo sie ihre Ruhe haben. Zum Beispiel in einem Park, der nicht öffentlich zugänglich ist. In Wien sind die Schlafplätze u.a. beim Franz-Joseph-Spital, am Küniglberg um den ORF und im Prater. Es gibt Orte wo sie sich zu tausenden versammeln und dann schlafen gehen. Das Sammeln ist laut und der Boden unter dem Baum ist dann weiss und dick belegt mit Exkrementen.
Klaus Kirchner: Wenn die Menschen lauter wären? Wenn im Pausenhof mehr Kinder herumschreien?
Heinrich Frötscher: Ein lauterer Ort mit mehr Menschen würde die Krähen stören und sie würden sich einen anderen ruhigen Platz suchen. Am Abend und in der Früh sind sie aktiv. Wenn sie sich am Abend sammeln und sie werden dann gestört, dann suchen sie sich etwas anderes. Zum Beispiel sind sie nicht gern in Parks wo abends viele Menschen mit ihren Hunden spazieren gehen, radlfahren oder joggen.
Unter Tags sind sie sowieso nicht da. Wenn die Kinder später Unterricht hätten, würden sie gar nicht stören. Abends, wenn die Krähen wieder einfliegen, haben die Kinder frei, die ganze Schule ist ruhig und leer, deshalb lassen sie sich dort nieder. Die Umgebung ist für ihre Zwecke ideal.
Klaus Kirchner: Und was hat das mit der Sense zu tun?
Heinrich Frötscher: Es wandern auch immer mehr Vögel aus dem Umland in die Städte, nicht nur Krähen und Papageien.
In den Städten leben weniger Raubfeinde als im Umland. Habichte oder Adler haben ihren Lebensraum nicht in der Stadt. So kommen viele kleinere Vögel in die Stadt und besiedeln Parks und Kleingartenanlagen. Durch die Kleinstrukturiertheit werden viele Vögel angelockt. Und da sind wir beim Sensenmähen, denn das tun in der Stadt Menschen mit kleinen, naturnahen Gärten. Die Grüngürtel um die Innenstädte, die Vorstadtbezirke, haben höhere Vogeldichten als das Umland. Dort gibt es die reichstrukturierten Gärten. Nicht die modernen Gärten des Grauens mit Schotterflächen und Rollrasen, die aus Sicht der Natur wie die Sahara sind.
Klaus Kirchner: Ein naturnaher Garten lockt Vögel, die beobachtet werden können? Mehr und unterschiedlichere als vor Jahren?
Heinrich Frötscher: Im Umland nehmen die Vögel massiv ab. Durch die Landwirtschaft, Flächenversiegelung, riesige Einkaufszentren mit Quadratkilometern an Parkplätzen und Hallen. Büsche und Bäume werden einfach entfernt. GPS-gesteuerte Traktoren fahren auf den Zentimeter genau den Ackerrand ab. Dadurch verschwinden die Ackerrandstreifen, wo früher Blumen oder Büsche waren, der Lebensraum für Insekten und die Vögel, die sie fressen.
Die Stadt bildet da einen Puffer. Die Anzahl der Tiere sinkt in der Stadt langsamer als draussen im Kulturland. Im Kulturland gibt es starke Einbrüche. Die Individuenanzahl – die Biomasse – an Vögeln im Kulturland hat in den letzten 30 Jahren um 50% abgenommen. Bei einzelnen Arten sogar 75% – 80%, z.B. Wachtel, Girrlitz. Die Allerweltsvögel zu Zeiten Goethes oder Shakespeares z.B. Wachtel, Lerche, Nachtigall sind verschwunden. „War es die Nachtigall oder die Lerche?“ – Wer kennt heute überhaupt noch diese Rufe? Vögel sind selten geworden. Der Verlust an Lebensraum läuft in der Stadt langsamer als am Land. Die „Weinviertler-Drei-Felder-Wirtschaft“ zum Beispiel: Mais, Zuckerrüben, Baugrund. So ist das wirklich.
Klaus Kirchner: Ein naturnaher Garten hilft da?
Heinrich Frötscher: Möglichst einheimische Pflanzen, die Nahrung und Versteck, Nistplatz bieten. Thujen sind ganz schlecht, weil sie giftig sind. Spatzen verstecken sich zwar in Thujen, aber viele Tiere – Igel oder Nacktschnecken zum Beispiel – durchqueren keine Thujenhecken.
Klaus Kirchner: Wenn man eine geschlossene Thujenhecke ums Grundstück hat bleiben alle Nacktschnecken drin und nie kommt ein Igel herein.
Heinrich Frötscher: Heimische Vögel kennen nur die heimischen Pflanzen. Fremdländische Pflanzen brauchen fremdländische Vögel – wie zum Beispiel die Papageien, die ihre Samen fressen.
Der Eschenahorn – ein ursprünglich amerikanischer Baum – verbreitet sich aus den Gärten heraus in den Nationalpark Donauauen und hat hier keine Feinde. Niemand frisst die Samen, keine einzige Raupe frisst an den Blättern. Auch der Biber nagt Eschenahorn nicht um, er frisst lieber die heimischen Weiden. So verdrängt dann der Eschenahorn die Weiden immer mehr. Wo es Monokulturen von Eschenahorn gibt fangen die Biber zögerlich an diese auch zu fressen, aber nur weil es nichts anderes gibt.
Klaus Kirchner: Mahlzeit und Danke schön.

Heinrich Frötscher und Klaus Kirchner sprachen miteinander am 21. Mai 2019 in Wien.