Schnitterin Katharina hilft einem Baum beim Überleben.
Katharina Kirisits spricht mit Klaus Kirchner in Wien.
Klaus: Du kümmerst Dich um eine Baumscheibe?
Katharina: Genau.
Klaus: Wie bist Du auf die Idee gekommen?
Katharina: Für mich war es immer ganz wichtig einen Baum vor dem Haus zu haben. Wenn ich aus dem Fenster sehe, möchte ich ins Grüne schauen. Das war ein ausschlaggebender Faktor bei der Wohnungssuche. Leider hat sich herausgestellt, dass unsere Bäume durch die Baustelle ein bisschen mitgenommen waren. Als wir eingezogen sind standen vor dem Haus drei Bäume, einer davon wirklich genau vor unserer Wohnung, so dass wir in die Baumkrone blicken. Um diesen Baum war aber kein Grashalm, die Erde war wie Beton. Das hat mir schon sehr zu denken gegeben. Ich wollte diesen Baum unbedingt erhalten.
Klaus: Hat denn der Baum wenigstens gut ausgeschaut – wenn um ihn schon kein Gras war?
Katharina: Im Gegensatz zu den anderen beiden hat er relativ gut ausgeschaut, aber meine Befürchtung war, dass auf Dauer alle drei Bäume sterben würden. Momentan (drei Jahre nach unserem Einzug) steht auch nur mehr der eine. Er hat sich im letzten Jahr gefangen und durfte stehen bleiben. Die anderen beiden mussten leider weichen und werden hoffentlich bald ersetzt. Das Gute in Wien ist ja, dass wenn ein Baum gefällt wird, dieser wieder nachgepflanzt werden muss. Ich hab mir immer wieder Gedanken gemacht was ich tun könnte um den einen Baum zu unterstützen. Zufällig bin ich dann im Internet auf die Seite der Gebietsbetreuung gestoßen. Es gibt die Möglichkeit für eine Baumscheibe quasi eine Patenschaft zu übernehmen.
Klaus: Du bist jetzt Patin von dem Baum – oder der Baumscheibe?
Katharina: So quasi. Ich bin bei der Stadt Wien eingetragen als Stadtgärtnerin. Wenn es Probleme gibt, oder sich jemand beschwert, weiß das Magistrat an wen es sich wenden muss.
Klaus: Was müsstest Du tun damit sich jemand über Dich beschwert?
Katharina: Zum Beispiel einen Zaun aufstellen und die Fläche abgrenzen. Ich habe zwar kleine Beete abgegrenzt, damit nicht jeder Hund gleich durchläuft, aber ein richtiger Zaun ist verboten. Regeln gibt es natürlich, aber eigentlich recht wenige:
- es darf nichts giftiges angepflanzt werden
- kein Baum oder großer Strauch darf gepflanzt werden
- keine Schlingpflanzen, die den Baum hinaufwachsen (regelmäßige Stammkontrollen dürfen nicht behindert werden)
- zum Pflanzen darf ich nur 25 cm tief graben und die Wurzel sollen natürlich nicht verletzt werden.
Klaus: Sonst darfst Du anpflanzen was Du willst?
Katharina: Genau. Mir es wichtig auf die Biodiversität zu achten und auch Insekten zu fördern. Ich habe mich daher auch für viele Wildpflanzen entschieden mit viel Nektar.
Klaus: Wachsen die dort?
Katharina: Wildpflanzen wachsen sogar besser als die klassischen Blumen aus dem Gartencenter. Es ist teilweise auch schwierig zu graben um diese gekauften Pflanzen mit ihren großen Wurzelballen einzusetzen, weil die Baumscheibe sehr flach ist und man dann auch leicht auf Wurzeln stößt. Ich komme teilweise noch nicht einmal auf die 25 cm Tiefe,
Klaus: Ist da Erde?
Katharina: Es ist sehr lehmiger Boden. Er kann das Wasser lange speichern – wenn er funktioniert. Nur war bei mir am Anfang das Problem: der Boden war schon zu komprimiert – wie Beton.
Klaus: Wenn es regnet rinnt das Wasser nur noch darüber weg?
Katharina: Ja, so war es ursprünglich: das Wasser ist nur an der Oberfläche vorbei geronnen.
Klaus: Die Pflanzen haben das aufgelockert? Oder hast Du – wie in Nordafrika – konzentrische Rinnen gegraben um das Wasser zu fangen und in den Boden zu leiten?
Katharina: Beim Starten habe ich auf längere Regenperioden gewartet – sonst wäre es gar nicht möglich gewesen den Boden zu bearbeiten. Ich habe auch gar nicht viel andere Erde zugesetzt. Es gibt die Möglichkeiten von den Müllplätzen gratis Kompost zu holen. Das habe ich am Anfang gemacht, aber rasch bemerkt, dass der gar nicht so gut ist. Der ursprüngliche Boden der Baumscheibe ist nicht schlecht, wenn er die Möglichkeit hat Wasser aufzunehmen. Ich habe ihn ein wenig mit organischem Dünger belebt. Ich habe eine Wurmkiste zu Hause – dadurch ist mehr Leben reingekommen – Mikroorganismen. Die Baumscheibe ist groß. Alles auf einmal zu bepflanzen wäre zu viel gewesen, ich habe sie also in einzelne Beete unterteilt. Das erste Beet letztes Jahr angepflanzt und heuer das zweite – und ich sehe schon einen sehr großen Unterschied. Im ersten Beet wird jetzt schon ganz viel Wasser gespeichert. Es ist dichter bepflanzt, das Wasser kann nicht mehr so leicht verdunsten. Das wirkt sich dann auch auf den Gießaufwand aus.
Klaus: Musst Du – wie in einem Garten – auch regelmäßig arbeiten?
Katharina: Ich muss schon ein bisschen Unkraut jäten und die Erde gelegentlich auflockern – weil sie sich mit der Zeit doch wieder komprimiert. Ansonsten gieße ich nach Bedarf, aber im Sommer eigentlich fast einmal täglich in der Früh. Die Baumscheibe ist sehr der Sonne ausgesetzt.
Klaus: Wohnen in dem Haus mehrere Parteien? Beschwert sich da niemand wenn Du gießt? Wie geht es den Nachbarn damit, dass das Dein Baum ist und nicht ihrer?
Katharina (lacht): Die Reaktionen sind sehr positiv, sowohl im Haus, als auch von Passanten. Es hat auch fast keinen Vandalismus gegeben – nur gegen die Begrenzungen, die wurden immer wieder umgestoßen. Pflanzen ausgerissen wurden nicht. Mir wurden allerdings schon mal Pflanzen gestohlen, da sind aber auch wieder Wildpflanzen von Vorteil, denn die sind nicht für jeden so attraktiv. Generell sind aber die Rückmeldungen und Reaktionen sehr positiv und das Beet ist auch ein Kommunikationsfaktor. Schon am ersten Tag, als wir mit dem Jäten beginnen wollten, war es kaum möglich zu arbeiten. Ständig ist jemand stehen geblieben und wollte sich mit uns unterhalten.
Klaus: Waren das nette Gespräche?
Katharina: Es sind immer sehr nette Gespräche und ich habe auch schon das eine oder andere daraus gelernt.
Klaus: Wenn ich Leute in meiner Nachbarschaft kennen lernen möchte, …
Katharina: Wirklich ideal! Es macht Spaß mit der Baumscheibe. Es gibt immer wieder freundliche Gespräche mit Nachbarn und Unbekannten und ich werde von Leuten wiedererkannt. Die Bepflanzung von Baumscheiben verbreitet sich jetzt schon in der Gasse und in der Umgebung. Immer weitere Baumscheiben tauchen auf, die PatINNen haben.
Klaus: Du gibst ein gutes Beispiel, andere folgen nach. Aber: Wenn Dir Pflanzen gestohlen wurden, hat da jemand Blüten abgeschnitten um sich einen Blumenstrauß zu binden?
Katharina (lacht): Das waren Ausgrabungen in der Nacht.
(Beide lachen)
Katharina: Allerdings ist es mir auch schon passiert, dass Pflanzen ihren Weg zu mir gefunden haben. Ich habe zum Beispiel eines Morgens einen Blumentopf und eine kleine Notiz dazu bei der Baumscheibe gefunden. Insgesamt habe ich also wesentlich mehr Freude als Ärger mit der Baumscheibe.
Klaus: Sich in einem Geschäft Pflanzen zu kaufen ist ja einfach, aber Wildpflanzen?
Katharina: Teilweise habe ich sie auch gekauft und teilweise aus dem Garten meiner Eltern aus dem Südburgenland gebracht. Dort herrscht pannonisches Klima und die Pflanzen vertragen Sonne und Trockenheit. Teilweise habe ich auch selbst ausgesät, zum Beispiel im neuen Beet Tagetes, weil die den Boden düngen und lockern.
Klaus: Das Säen hat funktioniert?
Katharina: Kommt immer auf die Pflanzen an. Die Tagetes für das neue Beet habe ich in der Wohnung vorgezogen und die schon robusteren Pflanzen ins Beet gesetzt. Das frisch angelegte Beet war allerdings mit Pferdemist gedüngt und das war für Hunde natürlich unwiderstehlich da mal reinzuspringen. Da wurden schon ein paar Pflänzchen geknickt, aber im Großen und Ganzen passiert wenig.
Klaus: Gibt es an Deiner Baumscheibe Spannungen mit HundebesitzerINNEn? Mit Hunden kann es keine Spannungen geben, die sind ja nur die Verlängerung der Hundebesitzenden.
Katharina: Nein. Als ich den Pferdemist auf die Baumscheibe gegeben habe, habe ich damit gerechnet, dass das für Hunde zu verlockend sein wird. Probleme mit Hundekot gab es aber zum Glück noch nicht.
Klaus: Und wenn Du verreist?
Katharina: Wir haben im Haus eine sehr gute Gemeinschaft. Da sind NachbarINNEn, die einspringen.
Klaus: Eine schöne Art von Nachbarschaftspflege?
Katharina: Genau.
Klaus: Wie hast Du es geschafft Patin der Baumscheibe zu werden? Hast Du ein Schild bekommen, dass Du die Patin dieser Scheibe bist – so wie bei den Rosen-PatINNen im Volksgarten?
Katharina (lacht): Es gibt Schilder von der Gebietsbetreuung und die wollen auch, dass man es aufstellt – auch um ein bisschen Werbung für die Baumscheiben zu machen. Da steht: „Hier gartelt: …“ mit einem Feld zum Eintragen. Und auf dem Schild sind auch die Links zum Nachmachen.
Klaus: Hast Du so ein Schild?
Katharina: Am Anfang hab ich es stehen gehabt. Irgendwann ist es allerdings weggekommen. Es ist jedenfalls einfach Patin zu werden, denn die Gebietsbetreuung hat ein Interesse daran, dass die Baumscheiben gepflegt werden. Ich habe ein Mail an die Gebietsbetreuung meines Bezirks geschickt mit der Adresse des Baumes und seiner Nummer.
Klaus: Wie finde ich die?
Katharina: Die ist an jedem Baum ausgehängt: eine kleine Plakette mit einer Nummer. Ich habe gefragt ob die Scheibe noch frei ist – mit einem Foto dabei. Es kam dann sehr schnell eine Antwort und ein Gestaltungsvertrag.
Klaus: Mit wem hast Du den Vertrag?
Katharina: Das geht über die Gebietsbetreuung und zwei Magistrate (MA42 und MA28). Um die Details kümmert sich die Gebietsbetreuung, die regeln das. Im Vertrag wurde noch nach einer Skizze der Örtlichkeit und die ungefähre Größe der Baumscheibe gefragt. Da musste ich aber auch nicht viel messen oder tatsächlich zeichnen, das hat die Gebietsbetreuung übernommen.
Klaus: Hast Du Dich mit Deiner Unterschrift zu irgendetwas verpflichtet?
Katharina: Dass ich die Scheibe pflege und sie wieder in den ursprünglichen Zustand zurückversetze wenn ich sie nicht mehr pflegen möchte. Die Regeln (siehe oben) einhalte. Ich bin mit dem Vertrag bei den Magistraten registriert, falls es Probleme geben würde. Wenn der von den Magistraten unterzeichnete Vertrag zurück ist, kann man sofort loslegen.
Klaus: Wie lange hat das bei Dir gedauert?
Katharina: Maximal zwei Wochen. Letztes Jahr, im Frühjahr 2019, habe ich angefangen und jetzt bin ich in der zweiten Pflanz-Saison. Die Pflanzen haben es gut überstanden, viele haben sich selbst wieder ausgesät – weil es ja Wildpflanzen sind. Ein etwas antiautoritärer Garten mit ein paar VagabundINNen.
Klaus: Sind denn Pflanzen zugewandert?
Katharina: Ja, eine Sonnenblume, die ich nicht gesetzt habe – da dürften ein paar Vögel geholfen haben – und einen Stechapfel. Der Stechapfel musste leider weichen, denn der ist giftig und somit auch nicht erlaubt.
Klaus: Du erkennst alle Pflanzen?
Katharina: Beim Stechapfel war ich mir nicht so sicher, da habe ich nachgefragt – ein Freund meiner Arbeitskollegin ist sehr versiert, auch die Mama und die Oma. Wischtelefonisch ist ja auch schnell ein Bild verschickt. Der Stechapfel ist innerhalb von ein paar Tagen schon 10 cm groß gewesen und seine Blüte hat ihn deutlich ausgewiesen. Die Sonnenblume steht übrigens noch.
Klaus: Kann ich etwas falsch machen mit so einer Baumscheibe?
Katharina: Gar nicht erst beginnen.
Klaus: Danke für das gute Schlusswort.
Sehr geehrte Schnitter.in,
wenn Sie Interesse an einer Baumscheibenpartnerschaft haben können Sie das im Zuge des „Garteln ums Eck“ tun.
So funktioniert es:
Schicken Sie ein Foto der Baumscheibe, die Baum-Nummer (ersichtlich am Baum) der gewünschten Baumscheibe, sowie die unterschriebene Gestaltungsvereinbarung per E-Mail an das GB*-Team in Ihrem Bezirk.
Wir prüfen, ob die Baumscheibe verfügbar ist. Anschließend werden wir die unterschriebene Vereinbarung, sowie Fotos und Verortung an die entsprechenden Fachdienststellen übermitteln. Nach dem „O.K.“ informieren wir Sie und Sie können mit dem Garteln starten.
Mehr Infos dazu gibt es auf unserer Website unter
https://www.gbstern.at/themen-projekte/urbanes-garteln/garteln-ums-eck/
Für Rückfragen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.
Die Gebietsbetreuungen Stadterneuerung (GB*) sind eine Service-Einrichtung der Stadt Wien. Wir bieten Information und Beratung zu Fragen des Wohnens, des Wohnumfeldes, der Infrastruktur, der Stadterneuerung, des Gemeinwesens und des Zusammenlebens in der Stadt. Wir sind im Auftrag der Technischen Stadterneuerung, Geschäftsgruppe Frauen, Wohnen, Wohnbau und Stadterneuerung, Vizebürgermeisterin und Wohnbaustadträtin Kathrin Gaal, tätig.