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Bild: Nikkolo Feuermacher 2021

Claudine Feuermacher-Montigne spricht mit Lobsan G. über Lieder zur Arbeit

Das Gespräch wurde auf Französisch geführt und für diesen Beitrag übersetzt. Wir bitten um Verständnis und Nachsicht bei etwaigen Übertragungsfehlern.

Claudine: Woher kommst Du?

Lobsan: Zu dem Gespräch mit Dir komme ich direkt aus Erdberg.

Claudine: Und wo bist Du geboren?

Lobsan: काठमाडौं Kathmandu.

Claudine: Du heisst Lobsan und willst nicht, dass hier Dein Nachname steht?

Lobsan: Ja. Mein Name hat im Internet nichts verloren. Bitte lasse ihn in Deinem Kopf.

Claudine: Du sammelst Arbeitslieder?

Lobsan: Wenn Menschen bei ihrer Arbeit singen, gibt das Kraft und es verwandelt die Arbeit in eine Freude. Solche Lieder möchte ich lernen und an andere weitergeben.

Claudine: Aber es hat auch Sklaven gegeben, die gesungen haben?

Lobsan: Genau das sage ich.

Claudine: Nikkolo Feuermacher hat einmal gesagt „es gibt kein Volk, also gibt es auch keine Volksmusik“. Wie siehst Du das?

Lobsan: Was ich mag sind Lieder, die wir singen wenn wir arbeiten. Arbeit gibt es. Arbeitslieder können überall sein wo Menschen arbeiten. Ich suche auf der ganzen Erde nach ihnen. Auch in Erdberg.

Claudine: Sind das Arbeiterlieder?

Lobsan: Arbeiter ist eine Kastenbezeichnung. Über Kasten möchte ich nicht sprechen.

Claudine: Wo hast Du bisher gesucht?

Lobsan: Natürlich erst einmal im Himalaya, dann in Japan, in Südafrika, in Frankreich und seit einem Jahr bin ich in Österreich, aber nur für kurze Zeit.

Claudine: Wie bist Du auf Österreich gekommen?

Lobsan: Bei einem Buddhistischen Retreat habe ich eine Österreicherin kennen gelernt. Sie hat mich eingeladen und gesagt „bei uns gibt es auch Berge und Lieder“. Jetzt bin ich in Erdberg und muss sagen, dass sie Recht hatte.

Claudine: Welche Lieder hast Du in Österreich entdeckt?

Lobsan: Bei einer Internet-Recherche habe ich auf Schnitter.in ein Interview mit Sophy Front gefunden: Sensen-Lieder / chant de travail. Ich bin ein großer Fan von Sophy Front und der Text war auf Französisch. Also habe ich bei Schnitter.in angeklopft und Klaus Kirchner hat mir die Türe geöffnet. Durch ihn konnte ich einigen Menschen begegnen, die mir ihre Lieder zur Arbeit beigebracht haben. In dem Kurs, der gerade in Erdberg läuft, werden Lieder zum Mähen mit der Sense gesungen, Lieder zum Rechen und Lieder zum Dengeln (kalt Schmieden).

Der Tanz mit der Sense geht weiter.
Foto: Irmgard Kirchner

Claudine: Warum sammelst Du?

Lobsan: Menschen sind Sammler. Deshalb überleben sie.

Claudine: Wie bist Du zum Sammeln dieser Lieder gekommen?

Lobsan: Ich war mit meinen Onkeln unterwegs, da wurde immer gesungen. Plötzlich hatte ich eine kleine Sammlung. Dann haben sie mich auf den Tisch gestellt und gesagt: „Los, sing uns das Lied wenn wir mit der Säge den Berg hinauf gehen.“ Und ich habe es gesungen.

Claudine: Wo sammelst Du?

Lobsan: In mir. Das ist der einzige Ort an dem Lieder leben können.

Claudine: Mein Vater war Musiker und hat Stücke auf Noten gesammelt. Noch vor seinem Tod wollte er, dass jemand seine Sammlung an Notenblättern weiter führt und pflegt. Nachdem für mich absehbar war, dass das niemand tun würde, habe ich seine Sammlung Antiquaren und anderen Sammlern angeboten, aber die haben mich nur ausgelacht. Einer meiner Brüder hat das ganze Papier schliesslich in die Papier-Mülltonne gelegt. Mein Vater hat nie davon erfahren.

Lobsan: Manche sammeln Lieder auf Papier, in Büchern, auf Schallplatten, als MP3s auf Festplatten. Aber es gefällt den Liedern dort nicht. Sie sterben.

Claudine: Du hast alle die vielen Lieder in Deinem Kopf?

Lobsan: Nicht unbedingt dort, vielleicht stimmt mehr „im Herzen“. Aber sie können auch in mir nur leben wenn ich sie wieder und wieder singe. Sie melden sich und sagen mir: „Sing mich!“ Wenn ich ihnen den Gefallen nicht tun würde, würden sie auch in mir sterben.

Claudine: Welche Begleitung hatten diese Lieder? Welche Instrumente wurden dazu gespielt?

Lobsan: Die Arbeit. Die Geräusche, die die Arbeit macht. Die Musik die das Herz, der Atem, Hände, Füsse und Werkzeug machen. Wer hat bei der Arbeit eine Band dabei? Ich würde von den Musikern und Musikerinnen erwarten, dass sie die Instrumente auf die Seite legen und mit anpacken.

Claudine: Es gibt Filme in denen Arbeit mit Trommeln begleitet wird.

Lobsan: Ich habe den Film auch gesehen. Das ist nur ein Film. In Japan habe ich mit Fischern zusammen ein Lied gelernt und dazu hat jemand auf der Trommel den Rhythmus gegeben, damit er tief in uns eindringen kann. Wenn der Rhythmus ein Teil von uns ist brauchen wir die Trommel nicht mehr draussen. Wir hören sie in uns.

Claudine: Wie kann ich ein Lied aus Deiner Sammlung hören?

Lobsan: Komm zu mir und Du kannst es lernen. Dann wohnt es in Dir.

Sensentanz in Zürich 2019
Foto: Rio Werner Hauser 2019

Claudine: Hast Du eine Aufnahme, die ich hier als Beispiel anhängen kann?

Lobsan: Ich singe nicht vor einem Mikrofon. Aber Du kannst Menschen fragen, die Lieder von mir gelernt haben. Vielleicht singen die in Dein Mikro. Lieder sterben nicht wenn Du sie auf ein Gerät singst. Sie sterben dann wenn sie nur noch auf dem Gerät sind und niemand sie mehr singt.

Claudine: Kannst Du mir am Ende unseres Gespräches ein paar Menschen nennen, die Deine Lieder singen?

Lobsan: Es sind nicht MEINE Lieder, sie gehören sich selbst. Es sind Lieder die leben und ich möchte, dass sie weiter leben. Frag die Menschen die mit mir in Erdberg singen ob sie etwas für Dich tun möchten.

Nachsatz von Claudine Feuermacher-Montigne: Ich wusste natürlich, dass Eitelkeit keine Grenzen kennt. Also habe ich im Umfeld von Lobsan G. Menschen gefunden, die mir ein paar Lieder als Beispiele eingesungen haben. Ich danke Ihnen! Eitelkeit ist für mich keine Sünde – nur eine ansteckende Schwäche.

Schneid O
Ich schneide Gras
Mäidiaou
Ja wo is denn