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Fortbildung, Gemeinschaft, Pflanzenbestimmung, Schärfen, Wien
Theresa Böckle sprach mit Klaus Kirchner in Wien am Stadtpark über:
„Wieso kommt die Wissenschaft nicht aus ihrer Ecke?„
Klaus: Warum schweigen WissenschaftlerINNEN so oft und haben keine scharfen Aussagen, die als Werkzeug verwendet werden können?
Theresa: Wie funktioniert Wissenschaft?
Wissenschaft arbeitet mit Versuchen um Hypothesen zu testen – die widerlegt werden können. In der Wissenschaft gibt es keine vagen Aussagen, Wissenschaft ist konkret. Wenn wir Aussagen treffen, müssen wir uns sicher sein. In der Natur gibt es nie 100 %, da sind zu viele Faktoren beteiligt.
Zum Beispiel die Evolutions-Theorie: Viele Menschen glauben Theorie wäre etwas, was man sich nur so ausgedacht hat. Dass eine wissenschaftliche Theorie aber mit zahlreichen Studien unterlegt ist, verstehen wenige. Deshalb gibt es in den USA aktuell das Problem, dass Menschen die Evolutionstheorie nicht anerkennen wollen: „It is just a theory“ sagen die. Wir WissenschaftlerINNEN arbeiten anders: Wir wollen uns sicher sein, dass es stimmt was wir sagen. Das macht die Kommunikation oft schwierig. Du hast ein Gespräch und erzählst: „Wir waren in einem bestimmten Wald in Rumänien und haben gesehen: der Phosphor-Gehalt war so hoch, die Carbon-Efficiency so hoch.“ Und wenn dann jemand kommt und fragt: „Wie ist das in dem benachbarten Wald 2 Kilometer weiter?“ Dann musst Du sagen: „Da könnte es anders sein.“ Du kannst selten ganz allgemeine Aussagen machen, denn wir sind so tief in der Materie drinnen. Ich beschäftige mich zum Beispiel im Labor mit dem Stoffwechsel von Bodenmikroorganismen. Ich versuche ein besseres Verständnis zu bekommen wie sie die das Futter, das sie bekommen verstoffwechseln, Metabolite – Stoffwechselprodukte. Nehmen sie das für das Wachstum, bauen sie damit Zellwände oder DNA auf? Meine Master-Arbeit wird nachher nur „das“ sein. Es ist so spezifisch, dass es für WissenschaftlerINNEN oft schwierig ist allgemeine Aussagen zu treffen. Du hast Dich so fokussiert auf das ganz kleine, das Du verstehen willst.
Klaus: Trägst Du durch Deine Forschung etwas dazu bei Leben auf der Erde weiter zu erhalten?
Theresa: Ich bin natürlich eine Einzelperson in einem Labor. Meine KollegINNen und ich haben bestimmt einen wichtigen Beitrag zu machen. Aber wir haben in der Wissenschaft oft ein Problem damit unser Wissen und unsere Forschung über die Wissenschafts-community hinaus zu kommunizieren, deshalb finde ich zum Beispiel die SchülerINNEN-Bewegung Fridays for Future (Österreich)(Deutschland) sehr interessant und wichtig. Wissenschaft ist nur gut wenn ihre Ergebnisse anderen auch begreiflich gemacht werden können. Wenn ich ein Paper schreibe, das von 20 Hanseln gelesen wird und anschließend in einer Schublade verschwindet, ist mein Beitrag gering. Wenn ich aber rausgehe, mit Menschen spreche und versuche ihnen zu erklären was wir gesehen haben, was es für tolle Sachen gibt, die wir erforschen, wie man besser verstehen kann was da auf uns zukommt (Klimawandel) und was man vielleicht dagegen tun kann, erst dann habe ich meinen Job gemacht. Nicht dann wenn das Paper fertig ist.
Was im Augenblick mit Greta Thunberg los ist finde ich super. Über Nachhaltigkeit wird immer geredet. Dass es jetzt aber Zeit ist – vor Jahrzehnten schon Zeit war – etwas zu verändern ist wahr. Das müssen auch PolitikerINNEN verstehen.
Klaus: Bist Du als junge Wissenschaftlerin bei Science Slams?
Theresa: So etwas kenne ich nicht.
Klaus: Beim Poetry Slam treten Dichter auf, beim Science Slam treten WissenschaftlerINNEN auf und präsentieren kurz woran sie arbeiten und worum das wichtig ist.
Theresa: Im öffentlichen Bereich mache ich das nicht. Neulich gab es eine Konferenz EGU (European Geosciences Union) wie jedes Jahr eine Woche lang in Wien, wo in kurzen Talks etwas vorgestellt wird. Aber da sind eigentlich nur WissenschaftlerINNEN.
Wir sind jetzt Teil der Kinder-Uni wo auch Kinder zu uns kommen können und sich anschauen was wir forschen. Ein Kollege von mir kümmert sich darum.
Klaus: Und Veranstaltungen für eine Öffentlichkeit?
Theresa: Das habe ich noch nie gemacht, da fehlt mir ein wenig das Selbstbewusstsein. Ich bin nur ein kleines Rädchen, da gibt es andere, die mehr wissen. Wenn man mit der Wissenschaft beginnt meint man: „Jetzt weiß ich es! Ich habe Wissen generiert und kann damit rausgehen.“ Je länger Du aber dabei bist und je mehr Du lernst, realisierst Du aber wie wenig Du eigentlich weißt.
Klaus: Das erklärt warum WissenschaftlerINNEN so oft schweigen.
Erzeugt der Wissenschaftsbetrieb dann nicht lauter Fachidioten, die die Zusammenhänge verlieren?
Theresa: Ich kann nur für mich persönlich sprechen. Du hast mich beim Sensenkurs als Ornithologin kennen gelernt und nicht als Bodenwissenschaftlerin. Ich habe mich heute in diesem Gespräch als Ökologin vorgestellt. (Ökologie ist die Lehre vom Haushalt der Natur- das beinhaltet alle Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Organismen und deren Umwelt.)
Ich versuche in diesem Sinne interdisziplinär zu sein. Ich will rausgehen und fähig sein Pflanzen zu bestimmen – wenn ich das möchte. Wissen welcher Vogel das ist. Wasserdynamik und Wasserhaushalt verstehen. Was passiert mit dem Grundwasser wenn bestimmte Dinge getan werden? Wie kommt es zu Überschwemmungen?
Ich will nicht nur die kleinen Dinge verstehen, die natürlich auch wichtig sind. Ich möchte das Ganze verstehen. Da muss man sich auch selbst bei der Nase nehmen und Gespräche suchen mit Menschen die etwas ganz anderes machen als man selbst. Ein Freund von mir ist Physiker und wir tauschen uns aus – bei einem Bier. Er erzählt mir von seinem Zeug, ich erzähle von meinem – und eine halbe Stunde später reden wir von einem Bereich, der überhaupt nicht unsere Forschung berührt.
Auf der EGU (European Geosciences Union) Konferenz saß ich erst einmal bei unserem Department. Ich hörte über Carbon-Use-Efficiency und danach über Carbon-Use-Efficiency und noch einmal über Carbon-Use-Efficiency. Da bin ich zu den Vulkanologen gegangen und ein italienscher Forscher hat darüber gesprochen wie sich die Gravitation (Erdanziehung) verändert wenn in einem Vulkan Magmabewegungen stattfinden. Ich war gefesselt. Davon hatte ich noch nie etwas erfahren, das war so interessant. Anschließend habe ich angefangen im Internet mehr über das Thema zu lesen. Wie ist er überhaupt dazu gekommen das zu messen? Toll was der für eine Arbeit macht. Den Vulkanologen ist es vielleicht genau so gegangen wie mir drüben bei der Carbon-Use-Efficiency. Vielleicht haben sie sich auch gedacht: „Schon wieder, jetzt hat er das gleiche bei einem anderen Vulkan auch gemessen.“ Aber man darf sich die Neugier aus der Kindheit nie abgewöhnen.
Klaus: Hinzugehen wo man neu und fremd ist?
Theresa: Genau.
Klaus: Und das ist Deine persönliche Entscheidung?
Theresa: Unbedingt. EinE WissenschaftlerIN ist auch nur ein Mensch. Du musst Dir einen Anreiz geben. Du musst Deinen Kopf füttern. Du kannst als WissenschaftlerIN Deine Arbeit machen und fertig. Aber Du kannst Dich auch von Gesprächen anregen lassen und Dir dann neue Fragen stellen. So entwickelt man sich weiter.
Oft habe ich das Gefühl Menschen sind völlig entkoppelt und sehen sich nicht mehr als Teil der Natur. Wir sind der Faktor, der die Natur am meisten formt, sperren die Natur die ganze Zeit ein und versuchen unsere Kinder von ihr fern zu halten – weil sie dreckig oder gefährlich ist. Homo sapiens sind Tiere, Teil der Natur. Nur wenn Du Dich als Teil Deiner Umwelt begreifst kannst Du versuchen es für Dich und Deine Nachkommen besser zu gestalten.
Anderes Beispiel: In einem Wald gibt es nicht nur den einen Baum und daneben steht ein zweiter Baum. Wenn ich alle Bäume in diesem Wald sehen kann weiß ich gleichzeitig: dass jeder dieser Bäume einen Mykorrhiza-Pilz hat mit dem er in Symbiose lebt – in einem für beide Seiten Vorteile bringenden Zusammenhalt. Forscher haben herausgefunden, dass ein Baum mit einem Pilz zusammenarbeitet und dieser Pilz in Verbindung mit einem anderen Baum stehen kann. Die Bäume sind dadurch in Verbindung miteinander. Es ist erwiesen dass da Stoffe untereinander ausgetauscht werden. Wenn ich also in einem Wald stehe, stehe ich auf einem riesigen Lebewesen, das aus mehreren unterschiedlichen Lebewesen besteht, die in mehreren Zeitabschnitten und Wegen miteinander interagieren. Ich als Mensch kann nur ansatzweise versuchen das zu verstehen. Diese Lebewesen tauschen miteinander etwas aus und der Boden – in dem die Pilze wachsen und die Bäume wurzeln – ist das Medium dafür. Deshalb ist der Boden wichtig: er fügt das Ganze zu einem Gemeinsamen.
In so einem Wald werde ich innerlich ganz still und denke mir: „Ich bin von Lebewesen umgeben, ich stehe auf Lebewesen und bin ein ganz kleiner Teil davon.“
Klaus: Was tust Du?
Theresa: Die letzten drei Jahre meines Lebens habe ich mich mit dem Stoffwechsel von Bodenmikroorganismen beschäftigt. Darüber geht meine Master-Arbeit. Wenn ich da noch länger bleibe würde ich meinen Doktor anfangen und die nächsten drei bis vier Jahre im selben Bereich wie jetzt weiterarbeiten. Die Arbeiten im Labor machen mir total Spaß: genau sein, lässige Sachen herausfinden, sich selbst und die Methoden ausprobieren. Tutorin zu sein hat mir auch Spaß gemacht: Wissen vermitteln an Menschen die Interesse haben ist so geil, das macht so einen Spaß.
Klaus: Braucht es nicht genau so Menschen wie Dich, damit sich die Wissenschaft weiter entwickelt?
Theresa: Seit Bologna treiben wir die jungen Studierenden von Prüfung zu Prüfung. Sie machen drei Übungen gleichzeitig, damit sie in kürzester Zeit – am besten unter der Mindeststudienzeit – abschließen. Ein Professor hat gesagt: „Leute, die nur die Mindeststudienzeit brauchen habe ich meistens an der Universität nicht mehr wieder gesehen.“ Meiner Ansicht nach ist ein Studium keine Berufsausbildung. Ein Studium soll Interessen wecken, die Menschen fordern. Es soll den Menschen Sachen zeigen von denen sie nie gedacht haben, dass es sie gibt. Ein Studium soll Dich vom Hocker reissen. Du sollst natürlich etwas lernen und das soll auch geprüft werden. Aber ist der Sinn eines Studiums dazuhocken und sich durch Prüfungen quälen zu lassen? Wo Du nur Prüfungsfragen auswendig lernst (Binge-Learning, Bulimie-Lernen) Die Du dann herunterbetest und hoffst: dass der Professor eh die gleichen Prüfungsfragen verwendet wie vor fünf Jahren? Ist das der Sinn dahinter? Ich glaube nicht. Studieren ist dafür da sich selbst auszuprobieren, Wissen zu generieren, Interessen zu wecken und nichts zu unterdrücken. Es gibt einige ProfessorINNen, die stoßen sich genauso an dem System in dem wir aktuell sind. In der aktuellen Art des Studiums zerreißt Du die Studierenden. Viele Studierende machen es so wie es von ihnen verlangt wird, arbeiten nebenbei um sich zu finanzieren, geben Vollgas, stehen dann nach Abschluss des Studiums da und haben keine Ahnung davon was sie mit ihrem Leben anfangen wollen.
Klaus: Wie sollte es sein?
Theresa: Studierende sollten freier entscheiden dürfen was sie machen. Es gibt in jedem Studium Basics, das sollte für alle gleich sein und dafür sollte es auch Prüfungen geben. Aber was ist der Sinn an Vorlesungen in denen zu Beginn des Studiums 1.000 Menschen sitzen und vorne steht jemand und liest Dir vor? Es sollte mehr Übungen geben, denn in Übungen setzt Du Dich tage- bzw. wochenlang mit einem Thema auseinander, das Du noch nie in Deinem Leben hattest. In der letzten Übung im Labor haben wir eine Besetzung von 11 Studierenden, 3 Professoren, einer Doktorantin und einer Tutorin (mich). Da sitzen jeweils drei Menschen in einer Gruppe zusammen und bekommen intensiv erklärt welchen Versuch sie gerade machen. Aus meiner persönlichen Erfahrung ist das hochqualitativer Unterricht. Das meiste was ich gelernt habe war in Übungen. Wirklich lernen tust Du in meinem Bereich wenn Du in die Natur hinausgehst und da steht jemand, der sich gut auskennt und Du kannst alles fragen: Was ist das für ein Baum? Was ist das für eine Pflanze? Was ist das für ein Tier? Kennst Du den Schmetterling? Jemand der/die erklären kann: „Wir stehen in den Donauauen, das ist eine Aulandschaft, der letzte große Auwald in Mitteleuropa.“ Jemand die/der erklärt wie eine Flussdynamik vor Ort funktioniert. Natur ist zum Angreifen und zum Verstehen da. So würde ich das machen.