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Baum in der Stadt, Bildrechte bei Nikkolo Feuermacher 2018Stefan Schmidt: Beim neuen Bauabschnitt in der Seestadt Aspern /Wien sind aus stadtökologischen, stadtklimatischen Gründen 20% Überschirmung des Strassenraums mit Blättern vorgeschrieben. Das so etwas in eine Umweltverträglichkeitsprüfung als Auflage kommt, ist ein riesiger Sprung nach vorn. Es ist meines Wissens nach das erste mal, dass so etwas passiert. Wien erkennt die Zeichen der Zeit. Beim Umsetzen gibt es natürlich noch Probleme. Wie weit kennst du dich mit Strassenbäumen aus?
Klaus Kirchner: Ich kenne Bäume in der Stadt nur als etwas, das Parkplätze wegnimmt, Laub – und noch schlimmer: Früchte oder Blüten – abwirft und Autos damit bekleckert. Manchmal fallen sogar Äste herunter und das ist so gefährlich, dass viele Bäume kurzgeschnitten oder umgesägt werden. Warum sind Bäume in einer Stadt überhaupt erlaubt?
Schmidt: Ein Baum hat natürlich ein ungeheures Gefährdungspotential: 1. Man kann mit dem Auto dagegen fahren. 2. Es passiert tatsächlich, dass der Baum Äste abwirft.
Es gibt Städte – wie z.B. Klagenfurt – die auf Nummer sicher gehen und die Bäume schneiteln: sie schneiden sie entweder ganz unten ab oder so knapp am Stamm, dass es nur noch ganz dünne Seitentriebe gibt. So kann auf keinen Fall etwas herunterfallen. In manchen Städten gibt es die Tendenz mit Bäumen so umzugehen. Schauen wir uns Prognosen über den Klimawandel an, dann ist hier in Wien in 30 Jahren ein Klima wie es jetzt in Neapel herrscht, in 50 Jahren vielleicht wie in Kairo. Das sind Temperaturanstiege, die das Leben im Freien nicht mehr so amüsant machen wie es heute ist. Das sind Aussagen eines Kollegen vom deutschen Wetterdienst, also eher von der konservativen Seite. Anfang letzten Jahres war ich auf einemWorkshop über Stadtklima und Stadtbäume und es war für mich bestürzend das zu erfahren. Was kann man dagegen tun? Unsere einzige Möglichkeit um das Klima in Strassenräumen zu beeinflussen sind Bäume. Bäume in Verbindung mit dem Boden als Klima-Maschine. Die Bäume verdunsten Feuchtigkeit über die Blattoberflächen, der Boden liefert diese Feuchtigkeit nach. Wenn der Boden trocken ist, kann allerdings auch nichts verdunsten. Ich brauche in der Stadt einen intakten Boden. Einen Stadtboden, der in der Lage ist Feuchtigkeit zu speichern und nach oben abzugeben. Nachdem Städte meist versiegelt sind, läuft die Abgabe von Feuchtigkeit nur über das Rohr des Baumstamms und über die Blätter. Natürlich könnte man das auch über Fassadenbegrünungen machen. Auch die verdunsten, begrünen und filtern Dreck weg. Aber der Baum hat noch den charmanten Vorteil, dass er über uns ein Blätterdach entfaltet und Schatten liefert.
Kirchner: Und die Vorgabe für die Seestadt Aspern (Stadtentwicklungsfläche in Wien) ist?
Schmidt: 20 % Überschattung.
Kirchner: Könnte man nicht Schnüre spannen und über diese Wein ziehen?
Schmidt: Das könnte man, es ist aber eine sehr umständliche Technik, denn der Baum liefert ja Stützkonstruktion und Blätter gleich mit.
Es klingt durchaus vernünftig: Ich pflanze Bäume, die Bäume beschatten Strassen, Autos und mich in der Stadt. Der Pferdefuss dabei ist allerdings: das macht ein Baum nicht sofort. Bis ein Baum seine stadtklimatische Wirkung entfaltet, muss er ein Alter von 30 – 40 Jahren erreichen. Dann ist er zu einer Grösse herangewachsen, die wirken kann. Hier liegt das Problem: unsere Bäume werden meist nicht älter als 20. Das ist die durchschnittliche Lebenserwartung von Stadtbäumen, nicht nur in Wien, sondern in vielen europäischen Städten. Da klingeln natürlich die Alarmglocken. Warum ist das so? Wir haben noch nie so viele Bäume gepflanzt wie heute und stellt sich nicht dasGefühl ein in einer grünen Stadt zu leben, denn die Bäume sterben zu früh.
Kirchner: Einer meiner Lieblingsbäume (die Platane auf dem Luegerplatz am Stubentor in Wien) ist sicherlich älter als 20 Jahre. Er verfügt über Äste von denen man Angst haben könnte. Wie ist es möglich, dass es so einen Baum gibt?
Schmidt: Früher wurden Strassen anders gebaut als heute. Die Unterbauten – also dass was unter der Oberfläche liegt – wurden aus grossen Steinen hergestellt, die man in den Untergrund gestellt und dann mit kleineren, feineren Steinen befüllt hat. Am Schluss war oben eine Deckschicht – vielleicht Asphalt. In diesen Strassenböden haben Bäume ganz natürlich ihren Platz gefunden und konnten ihre Wurzeln ausbreiten. Die Bäume wurden genau an der Stelle gepflanzt wo die Feuchtigkeit zusammenrinnt: zwischen dem Gehsteig und dem Fahrdamm, in einer Art flachen Graben. So konnten die Bäume die Feuchtigkeit aus dem Fahrdamm der Strasse ziehen und nach oben verdunsten. Das war die Idee des Strassenbaumes. Heute ist die Situation anders: Wir sind in der Lage die Unterbauten von Strassen so zu verdichten, dass da überhaupt keine Poren mehr bleiben. Bäume brauchen aber Poren für Luft, da sie mit der Wurzelspitze atmen. Und sie brauchen brauchen Feuchtigkeit und Nährstoffe an der Wurzelspitze. Dafür gehen sie meilenweit. Ein Baum geht um drei Häuserblocks wenn da irgendwo Wasser ist. Bäume brauchen Wasser und Luft. Der ganze Ehrgeiz unserer Strassenbauer bestand in den letzten Jahrzehnten darin den Strassenunterbau möglichst kompakt zu bekommen, damit die immer schwereren Fahrzeuge darauf fahren können. Der Unterbau der Strassen ist heute so wahnsinnig verdichtet, dass Bäume keine Chance mehr haben unter die Strasse zu wachsen. Die Stadtgärtner reagieren indem sie die Baumscheiben, also die Räume in denen die Baume wachsen, möglichst gross machen. 3 m mal 3 m Fläche auf 1,5 m Tiefe sind allerdings alles was es zu erreichen gibt.
Kirchner: Wie wenn der Baum in einem Topf sitzt.
Schmidt: Ja, der Blumentopfeffekt: der Baum bildet seine Wurzeln aus, irgendwann ist der Topf voll und dann wächst der Baum nicht mehr weiter. Oder er schiebt seine Wurzeln dorthin wo es noch geht: in der schmalen Zone zwischen Fahrbahndecke und Tragschicht ganz flach, oder entlang von Wasser- und Stromleitungen. Wenn gesagt wir: die Bäume machen die Wasserleitungen kaputt, dann wachsen sie da weil es der einzige Bereich ist, der noch nicht so verdichtet ist.
Kirchner: In Wien ist mir aufgefallen, dass oft grosse Bäume in der Nähe von Häusern wachsen, grosse Bäume in verhältnismässig kleinen Innenhöfen. In anderen Städten gibt es grosse Ängste, dass Bäume mit ihren Wurzeln Hauswände zerstören.
Schmidt: Die Ängste gibt es natürlich. Aber man sollte sich vorher anschaun wie viel Wurzelraum ein Baum überhaupt braucht. Die Faustregel ist: pro Quadratmeter Kronenprojektionsfläche (die Fläche die der Baum Schatten werfen kann) mal 0,75. Die Platane am Luegerplatz mit einem Durchmesser von etwa 30 m, also mit einer Kronenprojektionsfläche (Radius mal Phi) von 707 qm braucht 530 Kubikmeter Raum, den der Baum unterirdisch durchwurzelt. Das ist schon sehr viel. Die Platane kann das am Luegerplatz machen, denn der ist denkmalgeschützt, drunter ist die alte Stadtmauer mit jeder Menge von Klüften, Poren und Fugen um die Wurzeln auszubreiten. Die Strassen drum herum sind um die Jahrhundertwende gebaut worden und nicht so wahnsinnig verdichtet. Darum gibt es dort diesen Baum. Wenn wir uns einen Baum im Sonnwendviertel (Stadtentwicklungsgebiet in Wien) hinter dem Hauptbahnhof ansehen, dann hat der zwischen den neu gebauten, perfekten Strassen eine Baumscheibe von maximal 3 m mal 3 m und 1,5 m tief. Wenn da 10 Kubikmeter Wurzelraum gestattet sind, kann die Krone nicht gross werden. Der Raum ist sofort voll. So wie wir mit den Bäumen in der Stadt umgehen können sie nicht alt werden. Das ist die bittere Wahrheit, die man sehen muss.
Kirchner: Aber Du siehst nicht nur die bittere Wahrheit und bist traurig, sondern du tust doch auch irgend etwas?
Schmidt: Wir arbeiten an der Lehr- und Forschungsanstalt für Gartenbau in Schönbrunn schon seit 10 Jahren an diesem Thema. Wir haben uns langsam angenähert: Das erste war der Versuch die Baumscheiben (also den Pflanztopf für den Baum) zu verbessern. Dazu haben wir ein Material entwickelt (ohne Patent – das machen unsere deutschen Kollegen genauso), wo die herkömmliche Erde keine Rolle mehr spielt. Es besteht aus Split, gebrochenen Steinen, Sand, anorganischem Schluff als Unterboden und Kompost.
Warum nehmen wir keine Erde?
Erde hat das Problem, dass sie ihre Porösität (ihre Fugen und Poren, die der Baum unbedingt braucht) durch Ton-Humus-Komplexe bekommt. Regenwürmer kleben kleine Tonteilchen mit organischem Material zusammen, damit etwas krümeliges entsteht. Diese Krümelstruktur (in der auch im Garten die Pflanzen wachsen) ist extrem anfällig gegen Verdichtung. Wenn man drüberfährt, aber auch bei Vibrationen. „Stell dir vor du versuchst in eine Kaffeedose ein Päckchen Kaffee zu füllen: Die Dose ist irgendwann voll, aber es ist noch Kaffee übrig. Also klopfst du gegen die Dose, damit sich der Kaffee weiter verdichtet und du noch etwas nachschütten kannst.“ Jede Strassenbahn, jedes Auto das vorbeifährt, rüttelt die Erde immer mehr zusammen und verdichtet sie. Immer weniger Poren, immer schwerer für den Baum dort zu atmen. Dazu kommt noch das Salz, das wir auf unsere Strassen streuen. Jetzt (das Gespräch findet Ende Februar 2018 statt) sind die Strassen weiss und das ist nicht Rauhreif, sondern Salz. Wir versalzen unsere Böden, unsere Strassen – weil wir Angst haben auszurutschen. All das Salz läuft in die Baumscheiben und zerstört chemisch die Ton-Humus-Komplexe. Das Zusammengeklebte löst sich auf und der Boden zerfällt in seine Einzelteile – und wird in Folge noch stärker verdichtet. Ein intakter Boden hat etwa 1/3 Luftporen, ein durch Salz belasteter Stadtboden 1/10 Luftporen. Stress für die Bäume.
Wir nehmen für die Stadtbäume also keine Erde mehr, sondern Baumsubstrate / Strukturboden / auf Englisch: structural soil. Die natürliche Krümelstruktur im Boden wird durch eine Siebkurve ersetzt. Die groben und feinen Bestandteile des Substrats sind so gemischt, dass dazwischen Hohlräume bleiben, die durch Verdichtung nicht zerstörbar sind. Man kann sich das wie ein Skelett vorstellen. Wenn man oben draufdrückt wird der Körper nicht dichter. Die einzelnen Steine verkeilen sich so, dass zwangsläufig Luft- und Wasserporen bleiben. Darin kann sich der Baum bewegen. In Wien wrden seit 10 Jahren Baumscheiben richtig gut gebaut.
Kirchner: Schaut das braun aus?
Schmidt: Es ist braun oder grau und sieht auf jeden Fall nicht so aus wie Erde.
Kirchner: Vor unserem Haus im 3. Bezirk gibt es Baumscheiben in denen Bäume wachsen sollen. Die sind mit braunem Material gefüllt und da werden alle zwei Jahre immer wieder die Bäume neu gesetzt.
Schmidt: Das braune ist Lava. Lava ist auch ein gutes Material, sie ist porös. Aber Lava ist bedenklich, denn sie wird quer durch Europa gekarrt und wir wollten etwas entwickeln, was man in Österreich herstellen kann. Wir haben in Zusammenarbeit mit dem Stadtgartenamt ein Substrat entwickelt und das funktioniert gut. Bäume können darin ihre Wurzeln ausbreiten.

Schmidt spricht mit Schnitter.in

Stefan Schmidt in einem städtischen Fotoautomaten

Kirchner: Die kleinen Bäume in der Lava werden nach meiner Beobachtung innerhalb von 2 Jahren immer wieder von Hunden totgepisst. Es gibt da eine ungeheure Hundedichte und die HundebesitzerINNEN glauben wahrscheinlich sie würden dem Baum etwas gutes tun und ihn düngen.
Schmidt lacht: Das ist ein Irrtum. Aber: wenn man Baumsubstrat verwendet geht der Hunde-Urin schneller durch. Was viele Städte zusätzlich tun: sie säen in dieses Substrat Sommerblumen, z.B. Malven. Dann pinkeln die Hunde auf die Malven und nicht an den Baumstamm. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Ausserdem haben die HundebesitzerINNEN ein wenig mehr Respekt vor blühenden Pflanzen als vor Bäumen.
Manche Männer machen das ja den Hunden auch vor.
Kirchner: Bei uns haben die Männer so eine Ecke an einem Durchgang zwischen zwei Häusern, die stellen sich nicht an die Bäume.
Schmidt: Woran weiss man wo bei einem Baum hinten und vorne ist? – Dort wo er angepinkelt ist, ist hinten. 
Beide lachen.

Kirchner: Reicht denn das Substrat in der Baumscheibe, damit die Bäume älter werden?
Schmidt: Die Bäume haben ein Material in dem sie wurzeln können. Sie sterben aber trotzdem ehe sie ein Alter erreichen in dem sie die Aufgabe übernehmen, die wir ihnen geben wollen.
Auf der Suche nach einer Lösung wie wir den Bäumen mehr Wurzelraum geben können, sind wir nach Skandinavien und haben dort Kollegen kennengelernt aus Stockholm, Malmö, Uppsala, Växjö. In vielen grossen schwedischen und dänischen Städten geht man mit dem Thema Baum anders um als hier. Dort wird der gesamte Strassenraum umgebaut (zumindest der Bereich in dem Fussgänger gehen und Autos parken, wo also nicht die enorme Verdichtung gebraucht wird) um dem Baum mehr als eine Scheibe zu geben. Der Unterbau des Gehsteigs wird aus grobem Schotter (aus bis zu kindskopfgrossen Brocken) gemacht, der sich dann nicht weiter verdichten lässt. Durch die Grösse der Brocken bleiben dazwischen grosse Lücken (etwa 30 % des Materials ist Hohlraum). In dieses Material wird Feinboden (ein Substrat in dem Bäume wurzeln können) eingeschwemmt. Über das ganze kommt aus feinerem Material eine Verteilungsschicht und über die wird ganz normal der Weg gebaut. So hat der Baum die Möglichkeit aus der Baumscheibe heraus in den Unterbau der Strasse hineinzuwurzeln. Das charmante dabei ist: der Unterbau ist auch in der Lage starke Niederschläge aufzunehmen. Man schlägt also zwei Fliegen mit einer Klappe: der Baum hat Wurzelraum und die sich im Klimawandel verändernden Regenfälle (weniger Niederschläge und die kommen alle auf einmal) überlasten nicht mehr die Kanalsysteme. Unsere Kanalsysteme sind für den Klimawandel zu klein, sie sind gebaut für kontinuierliche Niederschläge. So gehen bei uns immer häufiger die Kanäle über. Das Kanalnetz einer ganzen Stadt zu erneuern ist aber urteuer. Deshalb hatten die Schweden die Idee: Strassen wie einen grossen Retentionsraum zu bauen, wo Wasser zurückgehalten werden kann. Das Niederschlagswasser breitet sich also erst einmal unter der Strasse aus. Was zu viel ist, fliesst in den Kanal, der Rest versickert. Sponge-City also Schwammstadt heisst dieses Prinzip in der Fachsprache. Für die Strassenbauer ist das ein Paradigmenwechsel. Vorher haben sie versucht alles möglichst dicht und kompakt zu machen – jetzt soll alles möglichst porös (mit Poren versehen) sein. Für Strassenbauer ist das gewöhnungsbedürftig. Es wird dauern bis es durchsickert. Im Augenblick trauen sie sich das noch nicht, weil es ihren Normen widerspricht.
Kirchner: Könnte man denn nicht mit den Menschen sprechen, die die Normen festlegen? Wenn die Normen geändert werden, bauen die Strassenbauer wieder entspannt?
Schmidt: Wir haben das in der Eggenberger Allee, einer prominenten Strasse in Graz, in den Nebenflächen gebaut. Die Grazer trauen sich etwas und ihr Gartenbau- und Tiefbauamt sitzen in einer Abteilung, die können leichter miteinander sprechen.
In Wien hoffen wir, dass das Stadtgartenamt MA 42 ebenfalls die Zeichen der Zeit erkennt und in diese Richtung denkt. Andernfalls haben sie einen schrecklichen Job, denn sie müssen die Bäume, die sie mit aller Liebe gepflanzt und 10 – 20 Jahre gepflegt haben, wieder umschneiden.
Wir planen mit der Stadt Wien zusammen eine geschlossene Modellanlage – also kleine Strassenstücke mit einem Lysimeter drin – in der wir sehen können was mit den Niederschlägen passiert, wie die sich verteilen, was mit dem Salz passiert (ob es verschwindet), wie viel Wasser gespeichert werden kann und wie schnell die Wurzeln unter die Strasse wachsen. Dann können wir versuchen das auf wissenschaftliche Füsse zu stellen – mit Messungen und Normen. Nur wenn wir nachweisen können, dass eine Strasse in der porösen Bauweise funktioniert – mit Raum für die Wurzeln und der Möglichkeit Wasser zu sammenlen – dann wird das jemand nachmachen.

Baumgeist, Zeichnung von Nikkolo Feuermacher 2018

Baumgeist aus „Prinzessin Mononoke“, ,

Kirchner: Haben Menschen – die in der Stadt wohnen und Bäume wahrnehmen – die Möglichkeit einen Baum zu unterstützen?
Schmidt: Ja. Das wichtigste ist: sich dafür stark machen, dass Bäume nachhaltig gepflegt werden, dass Bäume da sein MÜSSEN und Schatten spenden. Was die Menschen im Stadtgartenamt (MA 42) verückt macht, sind Beschwerden: „Da ist zu wenig Licht in der Strasse.“ „Meine Fenster sind im Schatten.“ „Die Bäume stehen im Weg.“ „Parkplätze gehen verloren.“
Wenn man stattdessen positives Lobbying für Bäume macht, ist das fantastisch. Meine Kollegen im Stadtgartenamt (MA 42) sind im Augenblick immer mit Menschen konfrontiert, denen irgend etwas an einem Baum nicht passt. In der Wahrnehmung eines wiener Stadtgärtners besteht Wien aus Baumhassern. Nur Menschen die sich über etwas beschweren kommen zu Politikern, und die geben das dann eins zu eins an die Stadtgärtner weiter. Niemand sagt: „Es ist klasse, dass es hier einen Baum gibt und ich freu mich schon drauf wenn der gross wird, denn dann hab ich Schatten!“ „Bitte pflanzt noch mehr, wir brauchen einfach Bäume!“
Kirchner: 
Das sollte dem Bürgermeister geschrieben werden?
Schmidt:
Ja, den Bürgermeister oder den/die BezirksvorsteherIN anrufen und sagen: „He, wir haben hier zu wenig Bäume, denk doch an den Klimawandel.“ „Wir brauchen Bäume, sonst halten wir es in der Stadt nicht mehr aus.“ „Bitte, bitte pflanzt Bäume.“ „Ich verzichte auf mein zweites Auto, es sind also 5 m Strassenraum frei.“ „Ich habe auf mein Auto verzichtet, bitte setz einen Baum dorthin.“
Ausserdem: In der Baumscheibe Blumen ansäen, damit gesehen werden kann „Diese Scheibe ist besetzt, es gibt jemanden der/die den Baum liebt.“
Menschen darauf aufmerksam machen, dass Hundstrümmerl kein Dünger sind, sondern etwas, das den Boden zerstört.
Man kann da schon viel tun.

nikkolo feuermacher: usa today, all rights reserved 2018

usa today

In den USA haben die Amerikaner zu wenig Geld um Bäume zu pflanzen. In Ithaca (in New-York-State) pflanzt der Stadtförster (Baumgärtner), der Urban Tree Steward, zusammen mit EinwohnerINNEn Bäume. Hier in Wien ist Baumpflanzen ein riesiger Akt mit Wurzelballen von 300 – 400 kg Gewicht. Da können nur starke Männer oder ein Kran pflanzen. Die Amerikaner pflanzen Bäume bare-root, also wurzelnackt ohne Ballen. So kann jedeR von uns drei Bäume tragen, denn die wiegen fast nichts. Solche Bäume können auch Laien leicht pflanzen. Da kann jede Wurzel einzeln schön in Substrat eingebettet werden. Wurzelnackte Bäume zu pflanzen ist eine billige Möglichkeit, damit jedeR Bäume pflanzen kann.
Kirchner: Gibt es einen Kurs um das zu lernen?
Schmidt: Die wurzelnackten Bäume müssen erst einmal zu bestellen sein. Noch werden sie bei uns gar nicht angeboten. Wir könnten das Stadtgartenamt anregen, dass es mit BürgerINNEN gemeinsam pflanzt. Ende April 2018 machen wir einen Workshop in dem wir zeigen wie das geht, der ist allerdings schon ausgebucht. Aber wir können so einen Kurs auch einmal gemeinsam machen (Voranmeldungen ab sofort auf diesem Blog über Kommentar möglich).
Kirchner: Aber wäre das nicht guerillia-mässig: im öffentlichen Raum einen Baum pflanzen?
Schmidt: Man kann nicht einfach im öffentlichen Raum einen Baum pflanzen. Das ist rechtlich wahrscheinlich ein Verbrechen. Aber es ist für uns wichtig zu wissen, dass es die Möglichkeit gibt Bäume leicht selbst zu pflanzen – ohne grossen Aufwand.

Schnitter auf den DächernKirchner: Kann man Bäume auch auf Dächer pflanzen?
Schmidt: Natürlich kann man jeden Baum auch auf ein Dach pflanzen, aber er kippt leicht: weil er ein riesiges Segel entwickelt und auf dem Dach immer Wind weht.

Kirchner: Wer ist Stefan Schmidt?
Schmidt: Das bin ich.
Kirchner: Wie kommst Du dazu dich für Stadtbäume einzusetzen? Du kommst mitten im Winter mit einem orangenen Faltrad ins Kaffeehaus?
Schmidt: Das ist eine lange Geschichte. Ich komme aus Nürnberg / Deutschland und habe in der Nachbarstadt Fürth Gärtner gelernt. Während der Gärtnerlehre habe ich auch Tanzen gelernt, bei Immo Buhls Immotion Dance Company. Dann war ich eine Zeit lang als Gärtner im Tessin, in einer fantastischen Landschaft mit reichen Leuten – die gerne schöne Gärten haben wollen. Dann hatte ich eine Kunstgeschichtlerin als Freundin und der einzige Ort an dem wir beide leben konnten – wo man sowohl Kunstgeschichte als auch Landschaftsarchitektur studieren konnte – war Berlin / Deutschland. Als Gärtner habe ich gemerkt: die Arbeit ist wirklich sau-anstrengend, also habe ich studiert. Anfang der 80er Jahre studierte ich in Berlin und kam zu einem einjährigen Stipendium an der Universität für Bodenkultur (BoKU) in Wien. Ich hatte viel Freude damit in Wien frei zu studieren. Mit dem Stipendium war mein Lebensunterhalt bezahlt und alles was ich tun musste war: mich zu bilden. Wie du es machst ist dir überlassen, du musst nur am Ende einen Bericht schreiben: ob es dir gefallen hat oder nicht. Von dem, was ich in Wien gemacht habe, wurde mir am meisten in Hannover anerkannt und so hat es mich nach Hannover verschlagen. Dort habe ich von einem Professor das Diplomarbeitsthema „Gärten der Wiener Gemeindebauten in der Zwischenkriegszeit“ bekommen. Aus dieser Arbeit hat sich ein Forschungsprojekt ergeben und ich blieb in Wien. Ich mache seit vielen Jahren angewandte Forschung und unterrichte an der HBLFA Schönbrunn. Das Thema Bäume ist aufgetaucht als ich gesehen habe wie man mit Stadtbäumen umgeht. Ich beschäftige mich mit Strassenbäumen und allen Nebenflächen von Strassen.

Schmidt spricht mit Schnitter.in

Stefan Schmidt


Kirchner: Danke für das Gespräch.