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Schnitter.in NützlingsberaterPatrick Peternel, über ein Jahrzehnt Nützlingsberater im professionellen Erwerbsgartenbau, lebt heute in der Wildnis.
Klaus Kirchner sprach mit ihm unter einer Akazie.

Was ist Resistenz-Management?
Eine Vorbemerkung:
Jeder Pflanzen-Schädling wird mit der Zeit gegen ein Spritzmittel resistent. Es ist das Überlebensprizip der Natur: sich an veränderte Begebenheiten anpassen. Für den Menschen – weil er ein komplexer Organismus mit einer langen Lebensdauer und geringem Fortpflanzungspotential ist – dauert diese Anpassung viel länger als für Kleinstorganismen.
Um den Zeitpunkt der Resistenz gegen ein Gift möglichst weit hinauszuschieben, ist es für GärtnerINNEN wichtig, Buch zu führen: wann welches Gift in welcher Konzentration angewendet wird. Die Kleinstorganismen lernen organisch, ständig und sehr schnell, sie brauchen kein Management.

Peternel: Grundsätzlich gibt es zum Pflanzenschutz drei Möglichkeiten: die Pflanzenstärkung, den Einsatz von Nützlingen, chemische oder biologische Spritzmittel.
Ein Beispiel zur Pflanzenstärkung: der Schachtelhalm-Extrakt härtet die Oberfläche der Pflanzen. Pflanzenstärkungsmittel haben mit den Abwehrkräften der Pflanze zu tun, sie sind ein anderer Weg, um im Landbau gute Erträge zu ermöglichen.
Im folgenden möchte ich über den Insektenbefall bei Pflanzen sprechen. Da braucht es Buchführung, also Resistenz-Management. Seit 1984 hat die chemische Industrie verstanden, dass sie mit ihren Insektiziden gegen das Natur-Phänomen Resistenz arbeitet und versucht, sich durch eine internationale Vereinigung zu stärken: das Insecticide Resistance Action Committee (IRAC). Ständig werden neue Gifte entwickelt, die an immer anderen Stellen in das organische System eingreifen wollen: bei der Sauerstoffzufuhr, der Verhinderung von Assimilation usw.
In Österreich ist der Pflanzenschutz reguliert und die verwendeten Mittel werden immer weiter reguliert und reduziert.

Kirchner: Um die Menschen zu schützen. Das ist ein Beleg dafür, dass Menschen der österreichischen Regierung wichtiger sind als die Profite in der kommerziellen Landwirtschaft.

Peternel: Ein Beispiel: in Österreich – und anderen europäischen Ländern – tauchte vor einigen Jahren die Tomatenminiermotte Tuta Absoluta auf, die unter der Oberfläche der Pflanzen Bahnen frisst und dadurch schwer zu bekämpfen ist. Tuta Absoluta wurde mit Tomaten-Lieferungen aus Südamerika nach Österreich gebracht. Es war also von vorn herein klar: gegen diesen Schädling wurde bereits mit allen in Österreich erlaubten und unerlaubten Giften gespritzt. Tuta Absoluta war bereits gegen alles resistent was vorhanden war. Wir – ein europäisches Netzwerk von Beratern – mussten uns also etwas neues einfallen lassen. Wir haben den Moment abgepasst, an dem das Insekt zur Fortpflanzung aus der Pflanze kommt, und es mit Pheromonen auf einen Klebstreifen [Gelbtafel] gelockt, und dann mit einem biologisch erlaubten Spritzmittel [Xen Tari mit dem Wirkstoff Bacillus sp. Azawai] zugeschlagen.

Kirchner: Klingt wie ein Krimi. Gibt es in Österreich heute immer noch Tomaten und gibt es auch immer noch Tuta Absoluta?

Peternel: Ja. Ein weniger exotisches Beispiel ist die Spinnmilbe. Sie kann Gurken, Tomaten und andere Pflanzen befallen.

Kirchner: Eine Einheimische also, die schon lange in unseren Breiten lebt.

Peternel: Ein Spritzmittel [Acorit mit dem Wirkstoff Hexithiazox] verändert die Eiwand der Spinnmilbe. Das heisst: ein grosser Teil der Spinnmilben kommt nach dem Spritzen nicht mehr aus dem Ei. Die erste Anwendung des Mittels hat eine Todesrate von 90 %. 10 % überleben und die nächste Population des Gewächshauses setzt sich dann aus diesen Überlebenden zusammen. Sie ist nun schon zum Teil gegen das Mittel resistent. Beim zweiten Spritzen mit dem gleichen Mittel ist die Todesrate nur noch 75 %. Der Wirkungsgrad des Mittels sinkt in Folge ständig. So ist das bei JEDEM Insektizid.
Um im Gewächshaus gut zu arbeiten, müsste man sich zumindest alles aufschreiben. Dabei geht es nicht allein um das Interesse der GemüsekäuferINNEN, also um die Rückstände im Gemüse, sondern um die Perspektive der Schädlinge.

Kirchner: Den Milben sind die GemüsekäuferINNEN egal, das sind ja Nahrungs-KonkurrentINNen. Ihnen geht es allein um ihr eigenes Überleben.

Peternel: Ja. Die Spinnmilbe ist eine Meisterin der Entgiftung. Sie kann Gifte gut verarbeiten. In Deutschland gab es den Fall, dass Spinnmilben gegen ein Spritzmittel vollkommen resistent wurden. Daraufhin haben die Gärtner das Spritzen mit dem Mittel eingestellt und ein Grossteil der Spinnmilben-Popultion starb, weil die Milben ihren Stoffwechsel auf das Spritzmittel eingestellt hatten und es zum Überleben brauchten.

Kirchner: Wie Junkies.

Peternel: Bei einem meiner Fälle in Österreich hatten Spinnmilben durch ein Gift einen beschleunigten Stoffwechsel entwickelt und frassen dadurch immer schneller und schneller. Ich kann mich gut an das Gewächshaus erinnern, alles war braun, und ich hatte das Fressgeräusch in meinen Ohren, …
Manche GärtnerINNEN spritzen überlagerte Gifte und es gelingt ihnen dadurch bereits nach EINEM Spritzdurchgang die Milben 100 % resistent zu machen. Nichts hält die Milbe dann mehr auf. Dabei haben die GärtnerINNEN die Tiere erst so weit gebracht.

Kirchner: Ist der Kampf gegen die Spinnmilbe hoffnungslos?

Peternel: Was am meisten bringt, ist der Einsatz von Raubmilben, die die Spinnmilben fressen. Dabei gibt es verschiedene Arten von Raubmilben. Eine genaue Beobachtung der Pflanzen und der rechtzeitige Einsatz der Raubmilben gibt ein rückstandsfreies Gemüse und hält die Milbe im Zaum.

Kirchner: Eine Ausrottung der Spinnmilbe ohne den Menschen auszurotten ist ausgeschlossen?

Peternel: Ja. Es ist wichtig sie nicht weiter zu optimieren, sondern friedlich mit ihr zu leben.